Ungarn

Vor den Jahrtausendspielen in Sydney (3)

Die Bürde des Favoriten
Ungarn wartet seit 24 Jahren auf olympisches Gold


VON DR. GÜNTER SCHWILL

Noch vor wenigen Wochen galt Ungarn als grosser Favorit für das diesjährige olympische Wasserball-Turnier. Überlegen waren die Magyaren 1999 Europameister und Weltcup-Sieger geworden. Wer sollte dieses Team gefährden?!
Doch in den Spielen der Euroliga fing die ungarische Siegesserie an zu stocken. "Angstgegner" Spanien hatte ausgerechnet in Budapest gegen die bis dahin "Unschlagbaren" einen eindrucksvollen 8:5-Sieg errungen. Zwei Wochen später bestätigte der amtierende Olympiasieger und Weltmeister Spanien, der diesen Titel vor zwei Jahren gegen Ungarn im australischen Perth errungen hatte, seine Stärke in der 3.Runde der Euroliga. Im spanischen Logroño musste Ungarn erneut eine klare Niederlage mit drei Toren Differenz hinnehmen (6:9). Trainer und Aktive waren betroffen und ratlos. Wenige Tage später gewann die USA in Budapest ein Länderspiel mit 9:8 gegen Ungarn, mit dem gleichen Ergebnis blieb Kroatien in der Schlussrunde der Euroliga in Kosice über Ungarn erfolgreich.
Alarmglocken läuteten. Die Fachzeitung "Nemzeti Sport" fragte beunruhigt, ob etwas falsch laufe, so wenige Wochen vor der Entscheidung von Sydney. Die ganze ungarische Sportnation hofft auf diese Olympischen Spiele, endlich sollte Ungarn anknüpfen an alte Traditionen, wie zuletzt beim Olympiasieg von Montreal 1976.

Sechs Olympische Goldmedaillen

Mehr als andere Nationen war Ungarn bisher bei Olympia im Wasserball erfolgreich. Sechs Siege stehen zu Buche. Dabei hätten es noch mehr sein können. So war Ungarn 1928 der grosse Favorit in Amsterdam, aber Deutschland zwang die Magyaren im Finale in die Verlängerung und gewann am Schluss mit 5:2. Noch heute haben die deutschen Olympioniken Rademacher, Bähre, Gunst, Cordes, Benecke und Amann einen guten Klang, auch in ungarischen Wasserballkreisen.

1932 und 1936 triumphierte Ungarn, jeweils vor Deutschland. In Berlin kam es zu einer sehr knappen Entscheidung, 2:2 trennten sich beide Nationalmannschaften, doch Ungarn wies den besseren Torquotienten auf, nach dem damals gerechnet wurde. In einer Gruppe mit Frankreich und Belgien erzielte Ungarn 10:2 Tore, Deutschland 14:4. Nach dem heutigen Differenzverfahren wäre Deutschland zum Olympiasieger gekürt worden, doch die Bestimmungen lauteten damals anders.
Der letzte Überlebende dieser deutschen Silbermedaillen-Mannschaft ist der Ehrenpräsident des DSV, Bernhard Baier. Eine Goldmedaille von Berlin hält er trotzdem in seinem Besitz. Es ist die Medaille seiner verstorbenen Frau Trudi, die im Turnen siegreich war.

Deszö Gyarmati, Rekordmann mit 5 Wasserball-Medaillen

Nach dem 2.Weltkrieg war Ungarn die erfolgreichste Sportnation im Wasserball. Viele berühmte Namen schrieben Geschichte. Einer ist herauszuheben, Deszö Gyarmati. In fünf Olympischen Spielen von 1948 bis 1964 holte er fünf olympische Medaillen, dreimal Gold (Helsinki 1952, Melbourne 1956 und Tokyo 1964), einmal Silber (London 1948) und einmal Bronze (Rom 1960). Diese Erfolge sind in der Welt unvergleichlich. Auch der Goldtrainer soll gedacht werden, die vor kurzem im Abstand nur weniger Wochen Ende Juli und Mitte August verstorben sind: Bela Rajki (Helsinki und Melbourne), später Lehrbuchautor und Lehrfilmproduzent, und Karol Laky (Tokyo), der später den kubanischen Wasserballsport belebte.
Auch Deutschland nutzte die Fähigkeiten ungarischer Trainer. Als Bundestrainer arbeitete Miklos Sárkány von 1959 bis 1973, im Juniorenbereich wirkten László Sárossi (1973-1980) und heute noch András Feher.
Der bisher sechste und letzte ungarische Olympiasieg gelang 1976 in Montreal. Die Spieler Farago, Szivós jr. , Horkai, Csapó, Gerendás, Ferenc Konrad und Torwart Molnar sind immer noch die "Wasserball-Helden" in Ungarn. Der Trainer hiess: Deszö Gyarmati!
Eine Ewigkeit zurück liegt dieser Erfolg. Damals in Montreal begann Peter Röhles internationale Karriere als zweiter Torwart hinter Günter Kilian. Im Ungarnspiel rechnete sich Trainer Firoiu keine Chancen aus und brachte Röhle zur Halbzeit. Kaum im Spiel, gab es Strafwurf für Ungarn. Schuss, Röhle hielt! Sein erster olympischer Ballkontakt, er hätte nicht eindrucksvoller sein können. Eine Traumkarriere von 21 Jahren schloss sich an, die für den Spieler erst vor drei Jahren endete. In all diesen Jahren gelang Ungarn kein Olympiasieg mehr. Das soll sich in Sydney ändern!

Die grösste Legionärsmannschaft aller Zeiten

Dem unter Druck stehenden ungarischen Trainer Dr. Dénes Kemény kam im letzten Spiel gegen Spanien das Glück zu Hilfe. Als er im 1.Viertel schon wieder 2:4 zurücklag, wurde ein Spanier wegen einer harten Attacke ohne Ersatz hinausgestellt. Keine Mannschaft der Welt kann mit sechs Spielern gewinnen, schon gar nicht, wenn die Unterzahl 23 Minuten dauert. Ungarn siegte hoch, aber das Ergebnis von 20:5 ist irrelevant, es verschiebt die Entscheidung für Sydney.
Nach der harten Vorbereitung auf der Margarethen-Insel in Budapest (Steinmetz:" Wir haben sehr viel gearbeitet!") lässt Kemény jetzt locker. Kraft tanken heisst die Devise.
Das 13köpfige Team ist benannt. Es spielen neun (!) im Ausland tätige Profis, sechs aus Italien, zwei aus Jugoslawien und einer aus Kroatien, vier Spieler kommen aus Budapest. Dr. Kemény schätzt die Profibedingungen im Ausland, er selbst spielte Anfang der 90er Jahre im italienischen Como, wo er dann bis 1996 die Trainerfunktion übernahm. Der als Deutscher Meister 1993 nach Italien gegangene Dirk Schütze erlebte den Ungarn, in dessen Mannschaft er um die italienische Meisterschaft spielte. Auf diesen Trainer und seine "internationale" Auswahl schaut eine ganze Sportnation:

Die Mannschaft:
Zoltán Kós, Torwart (Ferencvaros), Zoltán Szécsi, Torwart (BVSC), Tibor Benedek (Rom), Péter Biros (Becej), Rajmund Fodor (Florenz), Tamás Kásás (Posillipo), Gergely Kiss (Bologna), Tamás Märcz (Savona), Dr. Tamás Molnár (Becej), Barnabás Steinmetz (Posillipo), Bulcsú Székely (Ferencvaros), Zsolt Varga I (Mladost Zagreb), Attila Vári (Vasas).
Trainer: Dr. Dénes Kemény.

  copyright by Dr. Günter Schwill, 20.August 2000


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