Bundestrainer fordert radikale Wasserball-Reformen

Berlin (dpa) - Wasserball-Bundestrainer Hagen Stamm hat den Deutschen Schwimmverband (DSV) zu radikalen Reformen aufgefordert. Der Berliner, der nach der gescheiterten Olympia-Qualifikation im Herbst vergangenen Jahres zum Honorarcoach ernannte worden war, versteht darunter die «Intensivierung der Nachwuchsarbeit mit kontinuierlicher Annäherung an die internationale Spitze».

Wichtig seien ebenso die Durchsetzung neuer Marketingstrategien und die Erschließung zusätzlicher Geldquellen für den Spitzensport. Stamm: «Die Alternative lautet: kollegiales Auftauchen in Athen 2004 oder Versinken in der Bedeutungslosigkeit.»

Nur mit TV-Garantiezeiten und freier Wahl der Werbemöglichkeiten könne man einen potenten überregionalen Sponsor gewinnen. Die DSV- Vertragslage aber lasse eben dies nicht zu. Stamm: «Deshalb muss kurzfristig eine vollständige Freigabe der Bundesligen und der Nationalmannschaft sowohl aus dem abgeschlossenen Fernsehvertrag mit ARD und ZDF als auch aus dem Vermarktungsvertrag mit der Hamburger Firma SMS erreicht werden.» Erfolge dies nicht, sei andererseits ein Rückzug aus dem DSV nicht ausgeschlossen.

Seit zehn Jahren sei die Zahl aktiver Wasserballer vor allem im Jugendalter dramatisch gesunken. Einer der Gründe dafür sei das zu hohe Einstiegsalter von 11, 12 Jahren. «Viele Kinder haben sich da schon für andere Sportarten entschieden», sagte Stamm beim Acht- Nationen-Turnier in Nizza.

Stamm schlägt die Schaffung einer E-Jugend-Spielklasse (7- 11 Jahre) vor, mit der man langfristig die derzeitigen technischen Defizite minimieren könne. Außerdem sollten, wie zum Beispiel im Fußball üblich, Kinder durch Feriencamps unter Leitung von noch aktiven ehemaligen Stars der Sportart gewonnen werden.

(Madeburger Volksstimme 11.04.2001)

Hagen Stamm droht mit Verbandsaustritt
Wasserballer wollen sich selbst vermarkten

Von Klaus Weise

BERLIN. 11. April. Jüngst hat er sich mit seinem Team für die Europameisterschaft qualifiziert. Diese findet Mitte Juni in Budapest statt, und für Hagen Stamm (Berlin), den 323-maligen Nationalspieler, Weltklasse-Center und heutigen Bundestrainer ist dies ein Hoffnungszeichen. Fanden doch die WM 1998 wie auch die Olympischen Sommerspiele 2000 in Sydney ohne deutsche Wasserwerfer statt. In der Not hatte sich der Deutsche Schwimmverband (DSV) im Herbst an seinen Mr. Wasserball erinnert und ihn als Bundeshonorartrainer verpflichtet.
Trotz erster Erfolge aber spricht Stamm skeptisch vom "Versinken in der Bedeutungslosigkeit" - er fürchtet um die Zukunft seiner Sportart. "Derzeit liegen wir in der Welt zwischen Position neun und zwölf", sagt Stamm. Dies ist ihm Anlass genug, seinen Arbeitgeber, den DSV, herauszufordern. Hagen Stamm hat ein Strategiepapier entwickelt, in dem er Verband und Vereinen zwei Hauptmängel anlastet: unzureichende Nachwuchs- und dilettantische Marketingarbeit. Stamm: "Die Alternative lautet: kollegiales Auftauchen in Athen 2004 oder Versinken in der Bedeutungslosigkeit."

Nur mit TV-Garantiezeiten und freier Wahl der Werbemöglichkeiten könne man einen potenten überregionalen Sponsor gewinnen. Die DSV-Vertragslage aber lasse eben dies nicht zu. Stamm: "Deshalb muss kurzfristig eine vollständige Freigabe der Bundesligen und der Nationalmannschaft sowohl aus dem abgeschlossenen Fernsehvertrag mit ARD und ZDF als auch aus dem Vermarktungsvertrag mit der Hamburger Firma SMS erreicht werden." Erfolge dies nicht, droht Stamm damit, dass auch ein Rückzug aus dem DSV nicht ausgeschlossen sei.

In den vergangenen zehn Jahren sei die Zahl aktiver Wasserballer, vor allem im Jugendalter, kontinuierlich gesunken. Da viele Vereine über leere Kassen klagen, entschieden sie sich angesichts knapper Wasserzeiten häufig gegen die Wasserballer und für die Schwimmer. Das gibt mehr Mitgliedsbeiträge, denn auf der gleichen Beckenfläche können etwa fünfmal so viel trainierende Schwimmer untergebracht werden.

Sanktionen gegen Klubs?

Jugendarbeit im Wasserball ist teuer. Stamm plädiert deshalb für eine Mittelumverteilung zu Gunsten der Bundesligavereine mit engagierter Nachwuchsförderung und für Sanktionen gegen jene Klubs, die darauf verzichten. Des Weiteren, sagt Stamm, vergebe sich die Sportart durch ihr zu hohes Einstiegsalter (dies liegt etwa bei zwölf Jahren) viele Chancen. "Kinder haben sich da oft schon für andere Disziplinen entschieden." Stamm schlägt deshalb die Schaffung einer E-Jugend-Spielklasse für 7- bis 11-Jährige vor. Deren Spielfelder könnten im Nichtschwimmerbereich angesiedelt werden, womit man den Schwimmern keine Wasserfläche nähme und das Augenmerk auf spaßbetontes Üben legen könne.

Vom DSV fordert Stamm, dass der Verband durch Erschließung zusätzlicher Finanzquellen seine Verantwortung für die Auswahlteams wahrnimmt. "Die Realität in einigen Bundesligateams sieht doch so aus, dass der Trainer sich per Handschlag bei den Aktiven bedanken muss, die bereit sind, eine Auswärtsfahrt mitzumachen." Zwischen 1 000 und 2 000 Mark aus verschiedenen Töpfen brauche ein A-Nationalspieler, "um ein Studium größtenteils zu finanzieren und motiviert zu bleiben, Wasserball ernsthaft mit mindestens sieben Trainingseinheiten pro Woche zu betreiben". Wie viel da noch zu tun ist, erlebten die Nationalspieler am Mittwoch in Nizza: Zum Auftakt des Acht-Nationen-Turniers unterlagen sie Russland mit 4:10.

(Berlin Online 12.04.01)