Wasserball/ Hagen Stamm soll die
Nationalmannschaft als Bundestrainer aus dem tiefen Wellental führen
Der neue Mann schlägt neue Töne
an
VON GERD KUJATH
Waspo Hannovers Wasserball-Nationalspieler Marc Politze
kommt erst morgen aus dem Urlaub zurück. Sein
Mitstreiter Sven Reinhardt befand sich im Rahmen seines
Geographiestudiums auf Exkursion. Und Aktivensprecher
Patrick Weissinger, Kapitän des Meisters Spandau 04,
wurde als Ko-Kommentator von Eurosport in Paris
verpflichtet, so dass er nicht am Lehrgang der deutschen
Auswahl im Sportleistungszentrum teilnehmen konnte.
Alles so amateurhaft wie gehabt, könnte man meinen. Doch
weit gefehlt: Beim ersten Treffen nach dem kläglichen
Scheitern in der Olympiaqualifikation im Mai waren vom
Beckenrand ganz neue Töne zu hören. Diese kamen von der
deutschen Wasserballlegende Hagen Stamm, vor dem in den
kommenden zwölf Monaten als Bundestrainer eine
schwierige Aufgabe liegt. "Wir müssen uns in diesem
Zeitraum für die Europameisterschaft qualifizieren, dort
Achter werden, um vier Wochen später an der
Weltmeisterschaft teilzunehmen und diese mit Rang 8 oder
9 abschließen, damit wir finanziell in die Förderkategorie
2 kommen. Dann ist meine Mission erfüllt", rechnet
Stamm vor. Dazu hat er zunächst einen Kader aus 20 so
genannten A-Spielern plus zehn Junioren mit Perspektiven
nominiert, die sich in Hannover zum ersten Mal
versammelten.
Bereits am 2. Tag der Übungseinheiten fällt ein
deutlicher Unterschied zu seinem Vorgänger Uwe Sterzik
auf. Erging sich dieser in langatmigen, allgemeinen
Appellen an seine Akteure, unterbricht Stamm schon einmal
ein Trainingsspiel und erklärt Spielern wie dem jungen Würzburger
Florian Müller, was er beim nächsten Angriff verbessern
soll - und das nicht autoritär, sondern vermittelnd. Dem
21-jährigen Hannoveraner Sören Mackeben muss er
elementare Dinge nicht mehr erklären. "Sören ist
schwimmerisch stark, hat Übersicht, Spielwitz und hätte
schon längst ins Team gehört", äußert der frühere
Weltklasse-Center Kritik an der jüngsten Vergangenheit.
Dass diese vor allem vom Dauerstreit zwischen Sterzik und
Waspo-Coach Bernd Seidensticker bestimmt war, sei Schnee
von gestern. "Ich habe mit Seidensticker in der
Jugend- und Juniorennationalmannschaft gespielt, wir sind
gleichaltrig und vertreten dieselbe Auffassung von
unserem Sport", versichert Stamm. Gemeinsames
Handeln ist schon deshalb gefragt, weil bis zur
Qualifikation im März nur noch zwei Lehrgänge
stattfinden, "bei denen ich nicht Kondition bolzen
kann", so Stamm. Damit die Spieler trotzdem in Form
sind, baut er neben den Bundesligatrainern auf die Stützpunkte
Berlin und Hannover.
Hier haben ihm die Leistungsdiagnostiker des Olympiastützpunktes
gleich mitgeteilt, dass es nicht an den körperlichen
Werten lag, weshalb die deutschen Wasserballer das
Turnier in Sydney im Sportkanal verfolgen mussten. "Die
Psyche und die Taktik haben nicht gestimmt, aber ich bin
ja trotz des finanziellen Dilemmas angetreten, um aus
Verlierern wieder Siegertypen zu machen", meint
Stamm entschlossen.
Seine Ideen gehen jedoch noch viel weiter. Bis zu den
Olympischen Spielen seien die Wasserballer in der
Hierarchie des Deutschen Schwimmverbandes (DSV) ganz
unten gewesen. "Jetzt sollen die Schwimmer aber erst
einmal über sich nachdenken, statt über uns zu reden",
nimmt der Berliner kein Blatt vor den Mund. Ihm wäre es
ohnehin am liebsten, mittelfristig völlig autonom vom
DSV zu werden. Dazu muss aber zunächst das tiefe
Wellental verlassen werden - und das möglichst schnell.
Immerhin erhofft sich Seidensticker von Stamm "einen
Rudi-Völler-Effekt für den Wasserball". Stamms
Einjahresvertrag beinhaltet immerhin bereits eine
Parallele zum Teamchef der Fußballer. Nun müssen sich
nur noch die nötigen Erfolge einstellen.
(Hannoversche Allgemeine Zeitung vom 04.10.2000)
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