Wasserball
Blumenvasen-Vermarktung
Wasserball-Nationalteam auf dem Weg zur Selbstständigkeit
Von Christina Warta
München. Die Eisschnellläuferin Franziska Schenk
bepinselte sie mit Silberfarbe, Diskuswerfer Lars Riedel
bevorzugte goldene Tünche. Die Sportgymnastin Magdalena
Brzeska garnierte einige Partien davon mit roten Rosen:
Nackte Sportlerhaut ist ein Blickfang Beispiele für
deren erfolgreiche Vermarktung gibt es genug. Der
Wasserball hat ja auch recht flotte, junge Männer,
sagt Bundestrainer Hagen Stamm. Nicht, dass Stamm sich
demnächst der ohnehin schon knappen Arbeitskleidung
seiner Spieler bemächtigen wollte. Aber darauf, dass die
Attraktivität nackter Oberkörper seinem Team künftig
mehr Fernsehpräsenz bescheren könnte, hofft er schon.
Nach der EM, die am Freitag in Budapest beginnt, sollen
beim Deutschen Schwimmverband (DSV) die Weichen gestellt
werden für die Vermarktung des Produkts Wasserball.
Die vergangenen Jahre konnte man nicht gerade als
Hochphase des deutschen Wasserballs bezeichnen. Nach dem
WM-Aus 1998 schafften die deutschen Männer bei der EM
1999 mit Platz acht zwar gerade noch das Soll,
scheiterten aber in der Qualifikation für die
Olympischen Spiele: Zeit für Änderungen das
fanden zumindest einige Nationalspieler.
Konzeptionslosigkeit und Autoritätslosigkeit warfen sie
Bundestrainer Uwe Sterzik vor und schoben gleich noch
einige andere Bezeichnungen mit der Endung -losigkeit
hinterher. Sterzik musste gehen, und den Wasserballern
war nicht nur der Erfolg abhanden gekommen, sondern auch
der Trainer.
Spätestens von diesem Zeitpunkt an erinnert die Suche
nach einem neuen Chef für das Nationalteam an die
hektischen Zeiten der Fußballnationalmannschaft nach
Christoph Daum. So wie der DFB Rudi Völler zum
Hoffnungsträger erkor, so dachte der DSV recht bald an
Hagen Stamm. Stamm hat über 300 Länderspiele für
Deutschland bestritten, war 1981 und 1989 Europameister
und gewann 1984 Olympiabronze. Er ist eine
Leitfigur, sagt Kapitän Patrick Weissinger. Stamm
ist einer, dem der sportliche Erfolg die nötige Autorität
verleiht. Beim Berliner Serienmeister Wasserfreunde
Spandau 04, mit dem Hagen Stamm 14 Mal Deutscher Meister
war, ist er heute Präsident. Und weil Hagen Stamm zwar
ein vielbeschäftigter Mann ist, aber auch eine gewisse
Verpflichtung verspürte, ließ er sich überreden
allerdings nur zum Übergangstrainer. Nach der EM, spätestens
aber nach der WM, die im Juli in Japan stattfindet, will
er aufhören. Wenn wir uns nicht für die WM
qualifizieren, ist meine Aufgabe sowieso erledigt,
sagt er. Das stimmt nicht ganz. Zuvor will der 41-Jährige
beim DSV entscheidende Änderungen durchsetzen.
Stichwort Vermarktung: Sämtliche Rechte für Fernsehübertragungen
und Sponsorenverträge liegen beim DSV für alle
Sparten des Verbands. Wasserball ist unterrepräsentiert.
Wir sind die Blumenvase im Wohnzimmer des Schwimmsports,
sagt Stamm. Weil sich der DSV überwiegend um die
Individualsportler kümmert, wollen die Wasserballer ihre
Geschicke selbst in die Hand nehmen. Wir müssen
aus diesen Verträgen raus, sagt Stamm. Das
ist unsere einzige Chance. Beim DSV sieht man das
ähnlich. Wasserball ist bislang gar nicht
vermarktet worden. Wenn sich die Sparte selbst um
Sponsoren kümmert, kann sie sicher einen kleinen Erfolg
erzielen, sagt Wasserballwart Ewald Voigt-Rademacher.
Nach der EM will das neue DSV-Präsidium über die
Entlassung der Wasserballer in die Sponsorenfreiheit
beraten. Es könnte sein, dass die Wasserballer spätestens
2002 aus den Verträgen draußen sind, sagt der DSV-Fachwart.
Wer sich vermarkten will, der muss auch etwas vorweisen
zum Beispiel einen Erfolg bei der EM. Wir können
unter die besten Acht kommen, glaubt der
Bundestrainer. Auch mit Platz zehn wäre das Team noch für
die WM qualifiziert. Aber wir müssen realistisch
sein: Das wird sehr schwierig. Der
Altersdurchschnitt im Nationalteam liegt bei 23 Jahren,
vor dem ersten Spiel konnte das Team nur eine Woche
zusammen trainieren. Am Freitag trifft die deutsche
Auswahl auf Griechenland, weitere Vorrundengegner sind
die Slowakei, Frankreich, Kroatien und der Olympiazweite
Russland. Wir wollen wieder in die Weltspitze,
sagt Patrick Weissinger. Bleibt die Frage, was am Ende
werbeträchtiger ist: eine Medaille oder silberne Haut.
(Süddeutsche
Zeitung 13. Juni 2001)
|