FAZ
Schwimm-WM
Der Beste bleibt zu Hause - die Sorgen der Wasserballer
Von Cai Philippsen, Fukuoka

19. Juli 2001 Als die deutsche Wasserball-Nationalmannschaft am Donnerstag um 10.30 Uhr Ortszeit bei der Schwimm-Weltmeisterschaft im japanischen Fukuoka zum ersten Sprint gegen das Team Griechenlands um den gelben Kunststoffball startete, schlief der beste deutsche Spieler Marc Politze vermutlich tief und fest. Daheim in Hannover ein par Zeitzonen entfernt war es gerade 3.30 Uhr, mitten in der Nacht.

Politze warf für Waspo Hannover-Linden in der abgelaufenen Saison mehr Tore als jeder andere Bundesligaspieler. Die beeindruckende Leistung des 23-Jährigen bei der Europameisterschaft in Budapest im Juni hatte großen Anteil daran, dass das Team am Ende Platz neun belegte und überhaupt zur WM fahren durfte.

„Nicht tragbar für die Zukunft“

Doch nun blieb er zu Hause, um sein Wirtschaftsstudium voranzutreiben. Klausuren zum Vordiplom, anstatt Tore für Deutschland bei der WM. Selbst Verbandspräsidentin Christa Thiel konnte die Professoren nicht überzeugen, für Politze einen gesonderten Termin zu finden. WM-Zeit in Japan ist Klausurenzeit in Hannover. In der niedersächsischen Landeshauptstadt hat sich der Fall zu einer Lokalposse entwickelt, in der sich Sportfunktionäre, Politiker und Hochschulrektoren gegenseitig beschimpfen. „Für den Sport ist das so nicht tragbar für die Zukunft“, sagt Kapitän Patrick Weissinger. Er könne nur den Kopf über den Starsinn der Hochschule schütteln, „wenn man weiß, worum es im Wasserball bei dieser WM geht.“

Auch wenn sich der junge Leistungssportler die Frage gefallen lassen muss, warum er nicht bereit ist, für die wohl einmalige Gelegenheit bei einer Weltmeisterschaft mitzuspielen, eine Verlängerung seines Studiums in Kauf nimmt. Das Beispiel zeigt dennoch, welchen Stellenwert der Wasserballsport in Deutschland hat.

„Die Griechen sind alles Vollprofis“

Politzes Kollegen zeigten sich in ihrem ersten Match im „Hakata no Mori Tennis Centre Court“, in den die Veranstalter ein mobiles Schwimmbecken installiert haben, unbeeindruckt und ungewohnt selbstbewusst. Das 9:8 (2:1, 2:2, 3:3, 2:2) veranlasste Bundestrainer Hagen Stamm nach der Schlusssirene zu einem Freudensprung. Bei der Landung rutschte der frühere Weltklassespieler allerdings aus und fiel spektakulär auf den Hosenboden. Angesichts des Sieges wird er seinen Schmerz ertragen können.

„Die Griechen sind alles Vollprofis, die verdienen 5.000 Mark im Monat, wir kriegen ab und zu Mal ein Mittagessen“, beschrieb Stamm die unterschiedlichen Vorbedingungen. In der Welt rangieren die Deutschen etwa auf Rang 15, die Griechen gehören zu den Top fünf. Offenbar hat das Team die Deutschen unterschätzt. „Jetzt müssen wir gegen die Kasachen gewinnen, sonst war das nichts wert“, sagt Stamm. Kasachstan wird als schwächstes Team in der Gruppe B eingeschätzt, Olympiasieger Ungarn dürfte unschlagbar sein. Um in die nächste Runde zu kommen und sich dem wichtigen elften Platz anzunähern, muss Deutschland mindestens eine Mannschaft hinter sich lassen.

Hagen Stamm macht Zukunft von Bedingungen abhängig

„Wenn wir Elfter werden, bekommen wir im nächsten Jahr wieder Geld, dann können wir vielleicht noch einen Sponsor auftreiben und die Spieler spielen nicht mehr für einen feuchten Händedruck“, sagt Stamm. Auch seine Zukunft auf dem Posten des Nationaltrainers hängt davon ab. Stamm war nach der gescheiterten Olympia-Qualifikation als Bundestrainer eingesprungen. Der 40-Jährige hat in der Glanzzeit des deutschen Wasserballs über 323 Spiele absolviert wurde zwei Mal Europameister (1981 und 1989) und gewann 1982 in Guayaquil/Ekuador WM-Bronze. Im September will er mit den Verantwortlichen vom DSV über seine Zukunft verhandeln. Ohne Geld für Trainingslager und eine professionellere Arbeit wird Stamm auf keinen Fall bleiben.

Damit das Team überhaupt die teure Reise nach Japan antreten konnte, sprang das Innenministerium ein. Der finanziell angeschlagene Deutsche Schwimm-Verband (DSV) hätte die 180.000 Mark für das Team nicht aufbringen können. „Wir haben heute gezeigt, dass sie uns zurecht geholfen haben. Vielleicht konnten wir so etwas zurück geben“, meinte Stamm. Doch wenn sich der Sport wieder langfristig erholen soll, muss mehr getan werden. Wie es gehen kann, zeigen die Niederlande. Damit das „Oranje“ Team bis zu den Olympischen Spielen 2004 wieder in die erweiterte Weltspitze zurückkehrt, fließen bis dahin jährlich 500.000 Mark.

(Frankfurter Allgemeine Zeitung 19. Juli 2001)


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